Living History

Was ist „Living-History“?

„Living History“ ist eine, in den 1930er Jahren als Bestandteil der Museumspädagogik in den USA entstandene, beliebte Form der Aneignung und Vermittlung von Geschichte. Living History nutzt Rekonstruktionen und Inszenierungen, um Schlaglichter auf den Alltag und – begrenzt – auf die Lebensumstände vergangener Epochen zu werfen und unterhaltsam „begreifbar“ zu machen. Dargestellt werden Arbeit und Arbeitsprozesse sowie Alltagsleben und Dinge des Alltags (Realien). Living History ist kurz gesagt als „Simulation vergangener materieller Kultur, Technologie und Verhaltensweisen“ zu verstehen.

Der englische Begriff ist mehrdeutig. Er kann sowohl „Geschichte leben“ und „gespielte Geschichte“ als auch „gelebte Geschichte“ und „Geschichte erleben“ bedeuten und somit in allen diesen Übertragungen ins Deutsche für jeweils andere Intentionen und Herangehensweisen stehen. Es handelt sich dann dementsprechend um Freizeit- oder Lebenssinngestaltung und „Reenactment“ (auch Geschichtstheater, Museumstheater, historisches Spiel) oder Experiment und Inhaltsvermittlung.

Die Szene ist zwar unüberschaubar, in jedem Fall aber ist „Living History“ in allen seinen Ausprägungen streng von den populären „Mittelalter- und Barockspektakeln“ mit ihren Volksfestcharakter und Darstellern in fantasievollen und „historisierenden Gewandungen“ abzugrenzen.

„Living History“ und Wissenschaft

Das Problem ist, dass es sich um keinen aus wissenschaftlicher Forschung und Diskurs erwachsenen Begriff handelt. Dementsprechend indifferent und teilweise angespannt ist das Verhältnis zwischen „Living History“ und den Wissenschaften, der Geschichtsforschung und Archäologie und ihren traditionellen Vermittlungsmedien (Universitäten, Fachpublikationen, Museen).

Dabei ist es unbestreitbar, dass diese Form der Darstellung und Präsentation nicht nur Geschichte für Laien anschaubar und erlebbar macht, sondern auch in vielen Bereichen, vor allem der Vor- und Frühgeschichtsforschung (experimentelle Archäologie) zu neuen Erkenntnisgewinn beiträgt.

Im Gegensatz zur experimentellen Archäologie, die forschungs-, nicht vermittlungsorientiert ist, kann Living History nicht als wissenschaftliche Arbeit angesehen werden. Zwar bedienen sich die Akteure der Ergebnisse seriöser wissenschaftlicher Forschung und vereinzelt auch wissenschaftlicher Methoden, der Zugriff auf Primärquellen – vornehmlich Sach- und Bildquellen – bleibt jedoch auf das bloßes Anschauen, Verstehen und Rekonstruieren beschränkt.

Living History ist also in gewisser Weise die experimentelle Archäologie des Laien und ist immer eine Gradwanderung zwischen wissenschaftlicher Präsentation und inszenierter Unterhaltung. Living History kann aber der Forschung und Lehre als Vermittler im Kontakt mit der geschichtsinteressierten Öffentlichkeit nutzen.

„Living History“ und Wissenschaftlichkeit

Wir verstehen Living History im Sinne von „Geschichte erleben“ oder „erlebbar“ machen. D.h. für uns stehen eigener Erkenntnisgewinn und die bildhafte Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an ein interessiertes Publikum im Mittelpunkt. Eng an den aktuellen Forschungsstand und wissenschaftlicher Methodik angelehnt wollen wir das Leben und Wirken der Menschen im Rokkoko möglichst realistisch abbilden.
Es geht dabei nicht um die perfekte Nachstellung der Geschichte, was aufgrund der inhomogenen Forschungslage gar nicht durchgängig möglich ist. Nicht „Authentizität“ (im Sinne von „echt“) ist also das Ziel, sondern Glaubwürdigkeit und die größtmögliche Annäherung an die historisch und archäologisch nachvollziehbaren und nachweisbaren Realitäten.

Texte mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt v. Rainer Kasties

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Literatur zur Begriffsbestimmung, Abgrenzung, Perspektiven und Qualitätsstandards

Jan CARSTENSEN, Uwe MEINERS, Ruth-E. MOHRMANN, Living History im Museum: Möglichkeiten und Grenzen einer populären Vermittlungsform, Münster 2008.

„Living History in Freilichtmuseen. Neue Wege der Geschichtsvermittlung“. Bericht von der Tagung im Freilichtmuseum am Kiekeberg, Rosengarten-Ehestorf vom 01.05.-03.05.2008.

„Die Magie der Geschichte. Geschichtskultur und Museum“. Bericht von der Tagung in der Thomas-Morus-Akademie und Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler vom 27.08.-28.08.2007 in Bergisch-Gladbach, Tagungsbericht Irmgard Zündorf, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.