Auf leisen Sohlen – Der Mythos des genagelten Soldatenstiefels

Ratsch- klack, ratsch- klack, ratsch der Klang genagelter Schuhe auf Kies und Pflasterstein ist für viele Reenactor des 18.Jh ein gewohntes Geräusch. Doch sind genagelte Schuhe für die altpreußische Armee des Siebenjährigen Krieges überhaupt nachweisbar?

Bild 1: Unterseite eines Schuhes des Berliner Paars. Die Holzstifte im Absatz und die Rahmennaht sind gut zu erkennen. (Quelle: Hohrath: 2011, S.97.)

In der Sammlung des DHM (Deutsches historisches Museum) in Berlin haben sich ein Paar Mannschaftsschuhe der Infanterie von 1786 erhalten. Zwar stammen sie aus der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg, Ihre Form wurde jedoch seither nicht geändert. Es handelt sich um rahmengenähte, zweiballige[1] Schnallenschuhe mit Absatz und stumpfer Spitze. Das Oberleder ist wie die Sohle aus grubengegerbtem, Rindsleder gefertigt, der Absatz aus mehreren Flicken gefertigt und mit Holzstiften genagelt.[2]

Nägel oder Löcher die diese hinterlassen haben könnten finden sich nicht. Da es sich bei dem Berliner Paar um die einzige bekannte Realie handelt könnte man sich an dieser orientieren und keine Nägel tragen. Oft wird jedoch der Einwand vorgebracht das es sich bei dem Exemplar um ein Depot-Stück handelt, welches erst später beschlagen worden wäre. Tatsächlich ist es denkbar, dass der damalige Kronprinz Friedrich-Wilhelm III, welcher die Sammlung 1786 im Schatten einer weitgreifenden Uniform-Reform auf eigenes Betreiben zusammenstellte, um der Armee seines Großonkels Friedrich II zu gedenken, sich aus den Magazinen der Garnisonen bediente[3].

Daher wollen wir den Blick etwas erweitern:
Seit einigen Jahren untersuchen Archäologen der Universität Poznań (Posen) das Schlachtfeld von Kunersdorf (1759). Dabei wurde unter anderem ein Areal von 1×1 km ausführlich prospektiert; es handelt sich um einen Teil des Mühlberges mit einer Russischen Feldbefestigung, bestehend aus einer künstlichen Böschung, bekrönt von gefällten Bäumen und Gestrüpp, welche als Annäherungshindernis (Abatis) dienen sollten[4]. Während der Schlacht griffen auf dieser Fläche etwa 5000 preußische Infanteristen an. Dank zahlreicher Kleinfunde, wie Kartätschen, Uniformknöpfe und sogar im Rennen verlorene Kartuschen[5], konnte der Ablauf der Ereignisse auf dem untersuchten Gelände gut rekonstruieren werden. Zunächst wurden die Preußen bei der Annäherung mit Artillerie beschossen. An der Abatis angekommen kam es zu einem kurzen Schusswechsel: die Russen zogen sich den Hügel hinauf zurück, die Preußen beseitigten die Abatis und drangen weiter vor[6].

Bild 2: Gamaschen und ungenagelte Schuhe des zu Lebzeiten in preußischen Diensten stehenden Caspar Ernst von Normann (1696-1748). Auch wenn die Uniform nicht sicher zugeordnet werden kann handelt es sich um unverkennbar militärische Gamaschen und Schuhe. (Quelle: picture alliance / dpa)

Obwohl hier also eine große Zahl an Soldaten unter Feuer ein kleines Gebiet durchquerte und sogar Abbrucharbeiten durchführte (Demontage der Abatis) findet sich nicht ein Schuhnagel unter den Funden. Vergleicht man diesen Fundkontexten mit jenen von Armeen welche unbestritten über genageltes Schuhwerk verfügten, wie etwa die frühkaiserzeitlichen Legionen Roms, welche in jedem Lager und auf den Straßen zu tausenden Nägel hinterließen[7], drängt sich die Erkenntnis auf, das die preußische Infanterie ihre Schuhe nicht nagelte. 

Die schriftlichen Quellen bestätigen diese Erkenntnis. So finden sich in einer Liste mit Ersatz Materialien welche zum Auszug des Infanterieregiments Nr.7 mitzuführen wären am 12.8.1756 zwar je Compagnie: 150 Paar Schuhe, Oberhemden, Unterhemden, Läufe, Säbelklingen, Bajonette, Schäfte… jedoch keinerlei Schuhnägel.[8] Dafür werden jedoch „für die ganze Compagnie geschnittene Sohlen“ zusätzlich zu den Schuhen explizit erwähnt.[9]

Auch Schmettau erklärt im Zusammenhang der Kompagniewirtschaft: „Acht Groschen monathlich auf den Mann betragen jährlich vier Reichsthaler, für welche der Dinestthuende das Jahr über erhält: 2 Paar Schue, das Paar zu 1 rthl. 2gl. Beträgt / 2 Paar Sohlen das Paar 6gl / 2 Unterhemden das Stück 12gl.“.[10] Der Soldat erhielt etatmäßig also pro Jahr zwei Paar Schuhe und zwei Paar Sohlen. Es wurden keinerlei Nägel ausgegeben sondern gute Schuhe und Ersatzsohlen für deren Qualität der Schuster zu haften hatte.[11] In Friedenszeiten benötigten die Soldaten teilweise sogar nur ein paar Schuhe, wenn dies der Fall war erhielten Sie wie bei anderen Monturstücken auch, den Gegenwert der sonst nötigen Neuanschaffung als Belohnung für die gute Konservierung bar ausgezahlt.[12]

Bild 3: Temporäre Schuhster müssen leider nicht mehr für Ihre Arbeit haften. (Quelle: Fotoforge.eu)

Die zeitgenössischen Schriftquellen, erhaltenen Realien und die Archäologie belegen die Preußen marschierten auf leisen Sohlen in die Schlachten des Siebenjährigen Krieges. Die Abnutzung des Schuhs wurde durch zusätzliche Sohlen und Schuhe ausgeglichen, nicht durch Nägel unter der Sohle!

Daher kauft in Zukunft gute Repliken ohne Nägel! Ganz nebenher werdet ihr weniger frieren, kein Wasser mehr im Schuh haben und die historischen Böden der Museen werden es euch danken.  


[1] Beide Schuhe wurden auf einem Leisten gefertigt, es gab also keinen Linken oder rechten Schuh. Damit sie Ihre Form hielten und weniger abnutzten sollten die Schuhe täglich den Fuß wechseln (vergleiche Schmettau)

[2] Daniel Hohrath: Friedrich der Große und die Uniformierung der preußischen Armee von 1740 bis 1786. Verlag Militaria, Wien 2011, S. 96. 

[3] Hohrath: 2011, S. 46.

[4] Grzegor Prodruczny / Jakub Wrzosek: Lost elements. Earthworks of the fortified camp of the Russian Army from the time oft he battle of Kunersdorf in the light oft he recent research. 2013, S. 74.

[5] Prodruczny: 2013, S. 77.

[6] Prodruczny: 2013, S. 77.

[7] Thomas Fischer: Die Armee der Caesaren Archäologie und Geschichte. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2012, S. 137.

[8] C. Kling: Die Infanterie Regimenter im Jahre 1806. Putze und Hölzer, Weimar 1902, S. 54.

[9] Kling: 1902, S.54.

[10] Schmettau: Einrichtung des Kriegs-Wesens für die Preußische Infanterie zu Friedens-Zeiten 1773. (Bearbeitung: Martin Winter) Duncker und Humboldt, Berlin 2016, S. 195.

[11] Schmettau: 1773, S. 197.

[12] Schmettau: 1773, S. 198.